Vio Talberg: Der schöne Tod

 
Sie kann nicht schlafen, wie so oft in diesem letzten Jahr.
Immer wieder hat sie den gleichen Alptraum, der sie quält und foltert und sie einfach keinen Schlaf finden lässt.
Vom nahe gelegenen Kirchturm schlägt die Uhr Mitternacht durch die klangvolle Stille.  Der Himmel wie immer von Sternen gesegnet. 
Die Strahlen des Mondes tänzeln spielerisch auf ihrem Handrücken entlang und zaubern durch die Lamellen der Jalousie am Schlafzimmerfenster ein unwirkliches Szenario in den Raum.
Ihre Augen sind erschöpft und müde von den ständigen Wanderungen durch die Nacht – Arme und Beine liegen bleiern auf dem feuchten Laken.
Gedanken fressen die Stunden im Ticken des Zeigers.
Und da ist er wieder dieser faulige, erdige Geruch und ein schriller Schrei in der Dunkelheit...
 
„...Zitternd steht sie an der Gabelung des dunklen Weges, nur das Pfeifen und Rauschen des Windes umspielt einen knorrigen Baum und wispert heiser in seinen Zweigen.
Sie hat das Fahrrad zur Seite geräumt.
Hinter ihr raschelt es auf dem Sandweg und sie erschrickt sich vor dem beunruhigenden Knirschen der kleinen Steinchen. 
Sie stolpert unbeholfen und ängstlich über das pelzige Moos am Fuß einer Baumwurzel.
Ihre Angst macht ihn an, gibt ihm ein Gefühl von Macht.
Sie versucht wieder aufzustehen um sich am Baum hochzuziehen, da ritzt er ihr von hinten mit der Klinge die Wade an.
Er hat sich etwas vorgenommen: e r wird ihr den schönsten Tod der Welt möglich machen. Den Tod durch seine Hand!
 
 
Sie schreit auf vor Schmerz und schleppt sich den Weg entlang, hinterlässt aus ihrer klaffenden Wunde warmes Blut auf dem mondbeschienenen Boden. 
Begierde nach Haut, nach Rausch, Hemmungslosigkeit und der Angst in ihren Augen rast durch ihn hindurch. Es ist wie eine Besessenheit, ein Trieb, den er nicht unter Kontrolle hat. Niemals haben wird.
Er begehrt ihr Leben, damit es ihn heilt, für einen einzigen, kurzen Augenblick des Rausches in dieser tödlichen Nacht.
Hastig versucht sie zu fliehen, stolpert, fällt -  spürt, dass er ihr mit der Klinge die Fußsohlen blutig schneidet. Jeder Hieb ein Treffer! Sie strampelt, versucht von ihm loszukommen. Er muss lächeln.
Ihre Abwehrtechnik ist so panisch und hilflos. Wie fatal, wie erregend!
Ihr Atem hetzt zwischen ihren Lippen in die herbstkalte Nacht hinaus, sie weint und wimmert, fingert an dem Torriegel herum. Seine Lust greift nach ihr.
Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen steht sie erstarrt an dem Gartentor, unfähig jeder Bewegung, die sie vielleicht noch retten könnte.
Er lacht – laut, hysterisch, wahnsinnig. Als er sie mit einem wuchtigen Schnitt unter ihre Rippen zu Boden streckt, schießt Blut in einer Lache auf den Sandweg. Sie greift ungläubig mit ihrer rechten Hand nach der Wunde, versucht zusammenzuhalten, was nicht mehr zusammengehört, was die zentimeterlange Klinge aus Stahl einfach so zerfetzt hat.
Das Letzte, was sie wahrnimmt, bevor ihre Tränen sich in hoffnungsloser Todespein in ihren Augen brechen, ist sein satanisches Lachen, bevor er brutal und erbarmungslos von ihr Besitz ergreift und...sie tötet, tötet, tötet....“
 
...Sie schreckt auf, eine glänzende Schweißschicht liegt über ihrer Haut, so als wäre sie gerannt, geflüchtet,  - entkommen. Die Nacht wird zerrissen durch das rasende Pulsieren ihres Herzens. Ihre Waden schmerzen, wie nach einem Marathonlauf.
Immer wieder entfaltet der Schrecken seine Ungeheuerlichkeit, die Gewalt passiert einfach, ohne dass sie ihr Einhalt gebieten kann.
Ihre Kehle ist wie zugeschnürt und vollkommen ausgetrocknet. Leise steht sie auf und steigt die Treppe hinunter zur Küche. Jede Stufe knarrt. Wie ein Stöhnen.
Der Kühlschrank mit seinem warmen Licht gibt ihr für einen Moment ein beruhigendes Gefühl. Sie setzt die Wasserflasche an die Lippen und spült in gierigen Schlucken den faden Geschmack aus dem Mund.
Ein klapperndes Geräusch lässt sie zusammenzucken. Dann schüttelt sie fast erleichtert mit dem Kopf und denkt – die Katze! Sie sollte unbedingt morgen endlich die Katzenklappe in Ordnung bringen.
Sie macht die Hintertür auf und atmet ein wenig von der leichten, kühlen Herbstluft ein. Einen kurzen Augenblick lang beobachtet sie die tief liegenden Schwaden der Wolken, die den Mond verdunkeln und ihn zögernd wieder freigeben.
Das Fahrrad liegt im Beet und sie huscht auf bloßen Füßen kurz über den Sandweg, um es wieder hin zu stellen. Sie dreht sich um und will sich zur Hintertür zurück wenden. Seine Silhouette zeichnet sich gegen das Küchenlicht ab, schlank, groß und kräftig,  - die Klinge seines Messers blitzt im Mondlicht. Er bewegt das Messer zwischen seinen Händen hin und her - gekonnt, tückisch wie ein Spieler. Ein hämisches Lachen durchdringt die Nacht. Es klingt wie ein Grunzen.
Er besudelt sie mit seinem Blick, der wildernd über ihr Nachthemd streift.
Sie läuft, stolpert… spürt einen heftigen Schmerz in ihrer Wade. Versucht wieder hochzukommen, humpelt. Fällt wieder. Spürt Stiche und Hiebe in ihren Fußsohlen, hört ihr eigenes schmerzliches Wimmern!
Am Gartentor schafft sie es, aufrecht zu stehen. Versucht wie von Sinnen das Tor zu entriegeln. Es gelingt ihr nicht! Ihre Finger zittern.
Sie ist gelähmt vor Angst.
Steht einfach nur da.
Sie kann nicht einmal mehr ihre Hände abwehrend heben. Es ist zu spät!
Mit einem wuchtigen Schnitt unter ihre Rippen streckt er sie zu Boden. Blut schießt in einer Lache auf den Sandweg.
Sie greift ungläubig mit ihrer rechten Hand nach der Wunde, versucht zusammenzuhalten, was nicht mehr zusammengehört, was die zentimeterlange Klinge aus Stahl einfach so zerfetzt hat.
Das Letzte, was sie wahrnimmt, bevor ihre Tränen sich in hoffnungsloser Todespein in ihren Augen brechen, ist sein satanisches Lachen, bevor er brutal und erbarmungslos von ihr Besitz ergreift. Blitzschnell und mit einem einzigen, fachmännischen Schnitt schneidet er ihr die Kehle durch.
Noch kann sie ihr eigenes warmes Blut fühlen, das in schmalen dunklen Rinnsalen über ihr Nachthemd ihre Brüste hinab läuft.
Aber nicht mehr lange.
Ihr Röcheln zerreißt die Nacht.
Es verstummt immer mehr, und mehr und mehr.
Er sieht, wie sie mit den Augen irrend nach den letzten Lebensgeistern sucht.
Vergeblich.
Der schöne Tod ist sein Geschenk an sie!
Bewusstlosigkeit, lichtstarre Pupillen.
Die Apokalypse zerfetzt ihren Körper…
 
Sie schreckt auf.
Atemnot. Rasendes Herzklopfen im Brustkorb.
Sie riecht nach Seife. Ja, es fällt ihr wieder ein.
Vor dem Zubettgehen hatte sie gebadet. Wieso dachte sie jetzt daran?
Sie hatte Angst zu sterben!
Ihre Fingerkuppen streichen über das feuchte Laken und sie wischt sich zitternd eine schweißnasse Strähne aus der Stirn.
Greift nach ihrem Hals.
Versucht zu Atem zu kommen.
Um zu fühlen, dass sie lebt.
Das alles wieder nur ein Alptraum war.
Sie verharrt… spürt eine Narbe am Hals!
 
Und dann kommen ihr drei Worte in den Sinn:
Der schöne Tod!
 
(c) Vio Talberg